Der Schweden-Findling im Deister

Im Frühjahr 2012 wurde im Deister bei Hannover auf 365 m Höhe ein ca. 100 kg schwerer Stein entdeckt. Was hat es mit diesem Findling auf sich? Was sagt er uns über die Vergangenheit Norddeutschlands?

Einleitung

Findlinge sind im norddeutschen Raum keine Seltenheit und werden bei Eingriffen in den Boden sehr häufig gefunden. Sie stammen in der Regel aus Skandinavien und gelangten durch Transport im Gletschereis in unseren Raum (Geschiebe). Findlinge setzen sich aus geologisch sehr alten Gesteinen zusammen: Erstarrungsgesteinen (Magmatite, wie z. B. Granit oder Porphyr), Umwandlungsgesteinen (Metamorphite, wie z. B. Gneis) oder – relativ selten – auch aus Sedimentgesteinen. Sie unterscheiden sich deutlich von den meist viel jüngeren Gesteinen des lokalen Untergrunds. Auch andere Funde, wie Feuersteine und Geschiebemergel, weisen immer wieder auf die zurückliegenden Vergletscherungen weiter Teile Niedersachsens hin. Allerdings fügt jeder neue Fund dem Bild, das sich Forscher heute von den verschiedenen Eiszeitvorstößen machen, weitere Details hinzu.
Die Idee, dass Nordeuropa in der jüngsten erdgeschichtlichen Vergangenheit – während des Pleistozäns – von unvorstellbaren Eismassen bedeckt gewesen war, wurde erstmals 1875 vom schwedischen Geologen Otto Martin Torell vorgestellt. Dass sich in den vergangenen 400.000 Jahren insgesamt drei zu unterscheidende Kaltzeiten mit Eisvorstößen ereignet haben, ist schon über viele Jahrzehnte bekannt: 


Beginn vor heute in JahrenEnde vor heute in JahrenMaximale Eis-Ausbreitung
   Holozän („Nacheiszeit“)


Weichsel-Kaltzeit115.00011.700südl. Berlin – Elbe – Schleswig-Holstein
Eem-Warmzeit


Saale-Kaltzeit300.000125.000Sachsen Anhalt – Sackwald – Ith – Lipper Bergland –
im Westen bis ins Ruhrgebiet
Holstein-Warmzeit


Elster-Kaltzeit400.000320.000Thüringen – Ith – Teutoburger Wald
   älteres Pleistozän


Das Gebiet der Region Hannover wurde in dieser Zeit mehrfach intensiv verändert. Dies betraf insbesondere den Verlauf der Flüsse. Ein gutes Beispiel ist die großräumige Verlagerung des Weser-Laufs in den vergangenen 400.000 Jahren (Abb. 1).

Abb. 1: Weser-Läufe
Abb. 1:  Wechselnde Weser-Läufe in den vergangenen 400.000 Jahren (aus Rohde & Harms 2017).
Bis zur Ankunft des Gletschers der Elster-Kaltzeit verlief die damalige Weser ab Hameln über Bad Münder zum späteren Pass Deisterpforte westlich Springe, von dort über Nordstemmen und Hannover nach Mellendorf und weiter in westlicher Richtung (Sedimentkörper: Oberterrasse; Rohde 1994). Vor vielleicht 350.000 bis 340.000 Jahren haben Ablagerungen des elster-zeitlichen Eises den damaligen Weser-Lauf blockiert und dadurch den Fluss nach Westen zur Porta Westfalica umgelenkt. Von dort floss die Weser vom Ende der Eisbedeckung bis zur spät-saale-zeitlich folgenden Vereisung nördlich des Wiehengebirges nach Westen (Sedimentkörper: Mittelterrasse). Seit Abschmelzen der saale-zeitlichen Eisdecke verlief das Weser-Tal etwa wie heute von der Porta Westfalica über Nienburg nach Norden. Die Ablagerungen der Niederterrasse zeugen davon.

Eiszeiten im Deister

Eine spannende und zugleich schwer zu beantwortende Frage ist die nach der Mächtigkeit der Eismassen, die Nordeuropa bedeckt haben und die sich vor allem im niedersächsischen Flachland nur ungefähr abschätzen lässt. Im Bergland kann dagegen die Höhe der heute noch erhaltenen Gletscher-Ablagerungen einen direkten Hinweis liefern.
In den letzten drei Kaltzeiten gelangten nur während der Elster- und Saale-Kaltzeit Eismassen bis in den Deisterraum (Abb. 2). Hier war schon vor 1927 ein kleines Grundmoränen-Vorkommen in einer Höhe von 330 m üNN im Bereich Kölnischfeld bekannt. Vom Osterwald und dem Bückeberg kennt man entsprechende Funde aus Höhen von bis zu 360 m. Fast immer handelt es sich aber um einzelne kleine Geschiebe oder Reste von Geschiebemergel bzw. -lehm. Geschiebe über 40 cm Größe (Findlinge) wurden in diesen Höhenlagen aber nicht gefunden. Ob der Deister also vom Eis „nur“ umflossen und als sogenannter Nunatak aus dem Gletscher herausschaute oder aber von ihm komplett bedeckt wurde, ist eine der spannenden Fragen der Forschung.  

Abb. 2: Vereisungsgrenzen
Abb. 2: Vereisungsgrenzen im Leine-Weserbergland (aus Gervais et al. 2017).

Der Findling

Lageplan (Karte) des Schweden-Findlings im Deister

Der „Schweden-Findling“ wurde 2012 von einem Mitglied der Naturhistorischen Gesellschaft Hannover unter dem Wurzelteller einer im Winter umgestürzten Fichte auf 365 m Höhe üNN gefunden. Er ist 100 kg schwer und hat die Abmessungen 55 x 37 x 34 cm. Er ist in seinen Maßen nicht mit spektakulären Funden in der weiteren Umgebung vergleichbar, die auf sehr viel geringeren Höhen gemacht wurden. Ein Beispiel dafür ist der 2013 bei Ostermunzel (Gemeinde Barsinghausen) in einer Höhe von etwa 60 m üNN gefundene Findling aus skandinavischem Gneis, der 27,5 Tonnen schwer ist und einen Umfang von ca. 10 m hat.
Man gelangt zum Schweden-Findling, indem man ca. 1,5 km weit auf dem Fahr- und Fußweg geht, der vom Parkplatz am Nienstedter Pass zum Nordmannsturm führt. Der Findling und eine Lehrtafel sind dort unmittelbar am Weg aufgestellt (Koordinaten: 52,2689833, 9,4605833). Von da sind es noch knapp 500 m bis zum Nordmannsturm.
Der Schweden-Findling wurde durch Geschiebe-Fachleute eindeutig als Hardeberga-Sandstein identifiziert, einem sehr dichten und harten Sandstein aus der Region Schonen in Südschweden. Die Hardeberga-Ablagerungen sind vor rund 540 Millionen Jahren im Zeitabschnitt des Kambrium (Abb. 3) entstanden. Diese Ablagerungen sind sehr stark verfestigt worden und sehr viel härter als die vergleichsweise gering verfestigten, wesentlich jüngeren Sandsteine aus der Kreidezeit, die den Deister bilden. 

Abb. 3:  Erdgeschichtliche Übersicht
Abb. 3: Erdgeschichtliche Übersicht mit stratigrafischer Position von Hardeberga- und Deister-Sandstein (Entwurf: F.-J. Harms).

Der Stein weist an einer Seite eine glatte Oberfläche mit mehr oder weniger parallel ausgerichteten Schrammen – auch Kritzungen genannt – auf. Solche Gletscherschrammen (Abb. 4) sind charakteristisch für den Transport eines Gerölls im Eis. Der Stein wurde durch den Transport im Eis entweder über Festgesteine des Untergrunds hinwegbewegt oder schrammte an anderen Geröllen innerhalb des Gletschers vorbei. Dabei konnte er abgeschliffen bzw. gekritzt werden. Solche Schleifmarken können sich auch auf den Gesteinen des vom Gletscher überfahrenen Untergrunds ausbilden. Im lokalen, relativ weichen Deister-Sandstein sind solche oberflächlichen Spuren aber nicht lange erhaltungsfähig und daher längst verwittert.

Ein weiteres Merkmal können charakteristische Kanten sein, die durch Sandschliff entstehen. Sandkörner, die von starken, konstant aus einer Richtung wehenden Winden verweht werden, können an Steinen, die frei an der Erdoberfläche liegen, auffällige, meist quer zur vorherrschenden Windrichtung liegende Kanten herausarbeiten, ähnlich der Wirkung eines Sandstrahlgebläses. Solche „Windkanter“ (Abb. 5) entstanden unter klimatischen Bedingungen, bei denen der Boden nahezu ganzjährig gefroren war (Permafrostboden). In Norddeutschland war das z. B. nach dem Abschmelzen der Gletscher am Ende der Saale-Kaltzeit und während der Weichsel-Kaltzeit der Fall. In der Weichsel-Kaltzeit war Niedersachsen zwar nicht vergletschert, aber weitgehend frei von einer schützenden Vegetationsdecke.
Verglichen mit bisherigen Funden ist der Schweden-Findling vor allem durch sein Gewicht (100 kg), in Verbindung mit der Höhenlage (365 m üNN), bemerkenswert. Auch wenn eine anthropogene Verschleppung des Findlings an seinen späteren Fundort letztlich nicht mit absoluter Sicherheit ausgeschlossen werden darf, kann man mit hoher Wahrscheinlichkeit davon ausgehen, dass der Stein durch Gletschereis bis auf den Deister-Kamm gelangt ist. Die zum Transport notwendige Eisdecke dürfte am Fundpunkt zumindest noch einige Zehnermeter betragen haben. Zeitweilig wurde der Deister also vollständig von den aus Norden vorrückenden Eismassen bedeckt und auch der unweit vom Fundort des Schweden-Findlings stehende Nordmannsturm – auf dem Deister-Kamm – falls es den Turm damals schon gegeben hätte – wäre im Eis verschwunden gewesen. Gefälleberechnungen lassen erwarten, dass die Eisdecke im Bereich des heutigen Hannovers bis zu einem halben Kilometer dick war. 

Zeitliche Einordnung

Die zeitliche Einordnung des Eisvorstoßes, der den Schweden-Findling vor Ort zurückließ, ist schwierig. Es spricht aber vieles dafür, dass der Findling mit dem Gletscher der Elster-Kaltzeit in den Kammbereich des Deisters gelangte.
Ein genaueres Bild des eiszeitlichen Geschehens im Deister wird sich hoffentlich in der Zukunft durch weitere Funde ergeben. Jeder Wanderer, der an diesem Thema interessiert ist und mit offenen Augen durch den Deister geht, kann durch einen neuen Fund den Erkenntnisstand erweitern. 

Dank

Für diesen Beitrag, die Gestaltung der im Deister am Schweden-Findling aufgestellten Informationstafel und die fachliche Beratung ist Herrn Ole Schirmer, Dr. Franz-Jürgen Harms, Dr. Wolfgang Irrlitz, Prof. Dr. Klaus D. Jürgens, Dr. Klaus-Dieter Meyer, Dr. Annette Richter und Dr. Peter Rohde zu danken!

Der Niedersächsischen Bingo-Umweltstiftung danken wir für ihre Unterstützung.

Literaturhinweise

Rohde, Peter (1994): Weser und Leine am Berglandrand zur Ober- und Mittelterrassen-Zeit. – Eiszeitalter und Gegenwart, 44: 106–113; Öhringen.

Rohde, Peter; Harms, Franz-Jürgen (2017): Eiszeitliche Terrassen-Sedimente der Weser und Leine: Schlaglichter auf Alterseinstufungen. – Naturhistorica, 158/159: 107–126; Hannover.

Schirmer, Ole (2011): Neufunde von Eiszeit-Geschieben auf dem Deister-Kamm. – Naturhistorica, 153: 7–16; Hannover.

Gervais, Klaus; Irrlitz, Wolfgang; Schirmer, Ole; Schulz, Dieter (2017): „Feuersteinlinie“ (Eiszeitlinie) und ein Aufsehen erregender Fund. – In: Der Deister – Natur Mensch Geschichte. – Naturhistorica, 131: 75–78; Hannover.